Aktfotografie

 

Die ersten Daguerreotypien mit erotischen Darstellungen dürften etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts bei Pariser Händlern aufgetaucht sein. Es waren Unikate, die häufig  handkoloriert wurden, wie das Beispiel von  Auguste Belloc im ersten Slider zeigt. Die künstlerische Aktfotografie hatte nicht primär eine sexuelle Konnotation, sondern ist neben einem ästhetischen und handwerklichen Anspruch auch durch Achtung des abgebildeten Menschen gekennzeichnet. Natürlich sind die Grenzen zwischen Aktfotografie und Pornografie fließend, da sie subjektiven Moralvorstellungen und den jeweiligen kulturellen Vorstellungen von Sittlichkeit unterworfen sind. Dies zeigt sehr deutlich das Beispiel Nobuyoshi Araki.

Schwierig wird es bei Aktfotos von Kindern und Jugendlichen, bei denen ich mich auf Sturges und Hamilton beschränkt habe, da beide Fotografen technisch und motivisch zum Teil völlig andere Wege beschritten haben. Auch Sturges handelte sich den Vorwurf der Kinderpornografie ein, sein Büro wurde 1990 vom FBI durchsucht und seine Bilder nebst  Ausrüstung beschlagnahmt. Die Vorwürfe konnten nach Prüfung des Sachverhaltes nicht aufrechterhalten werden. Er bekam seine Ausrüstung und seine Bilder zurück. Verstehen kann man das nur, wenn man sich die obige Definition von Aktkunst und seine Bilder im Slider noch einmal genau anschaut. Hamilton dagegen hat keine Kinder fotografiert und war insofern schwerer zu belangen. In seiner bekanntesten Serie The Age of Innocent hat er seine weichgezeichneten Bilder pubertierende Mädchen mit literarischen Aphorismen geschmückt, die im Kontext des Bildes mehr die Phantasie beflügeln als zur Ästhetik des Bildes einen Beitrag zu leisten.

 

Künstlerische Aktfotografie

 

Viele Künstler bearbeiten ihre Aktfotos mit verschiedenen Techniken, um ihnen eine schöpferische Note zu geben: die Colorierung bei Belloc, die zerkratzte Fotoplatte bei Frank Eugene, die gewollte Unschärfe bei Alfred Stieglitz oder Gerhard Richter.

 

Nicht so der unbekannte Fotograf  - er wird Monsieur X genannt - der in den1930er Jahren seine Kamera gleich tausendfach auf das weibliche Geschlecht gelenkt hat. Auch Alfred Stieglitz hat seine Frau Georgie O'Keeffe aus hunderten verschiedener Perspektiven abgelichtet, was sich gegenüber Monsieur X allerdings bescheiden ausnimmt.

 

Mit seiner Aufnahme Woman Walking Downstairs begründete Eadweard Muybridge die Serienfotografie. Das Bild inspirierte Gerhard Richter zu seinem bekanntesten Akt Ema. Natürlich polarisierte auch dieser Akt die Kunstwelt. Es gab sogar eine Messerattacke gegen dieses Bild. Anfangs wurde es nicht als Kunst anerkannt, weil es zu "fotografisch" sei. Heute befindet sich das Millionenobekt wie die Mona Lisa unter Panzerglas. Ein Jahr später schuf Richter dann die Studentin und überarbeitete das Ausgangsfoto ein wenig mehr, vermutlich, weil er keine Lust mehr auf solches Geschwätz hatte.

Auch meinem Protagonisten habe ich eine Serienfotografie untergejubelt, allerding dient dabei das männliche Geschlecht als Blickfang (Hüftkette mit drängendem Glied).

Schöne Aktfotos von Männern gibt es nur wenige. Das Portrait von Vincenzo Galdi ist ein solches, ebenso wie die Kohlezeichnung von Werner Schulz-Falkenburg (siehe klassische Männerakte). Wie gesagt, die Darstellung des männlichen Geschlechts ist im Gegensatz zum weiblichen eine schwierige Angelegenheit: die Vagina wirkt beschaulich, unschuldig. Man sieht ihr kein Begehren an. Die Begehrlichkeit liegt eher beim Betrachter. Ein erigierter Penis hingegen ist nicht mehr unschuldig, er ist Ausdruck des Begehrens und der Penetration. Das ist das Problem. Und da bedarf es schon eines hohen Maßes künstlerischen Mutes und ästhetischen Geschicks, eine angemessene Komposition zu schaffen (mehr dazu in Kap. 5, Sommerakademie).

 

Grenzfall Araki?

Der japanische Fotograf Nobuyoshi Araki hat in den 1980er Jahren in Tokyo's bekanntem Rotlichtviertel Kabukicho Bilder in Sex Clubs, Sex-Shops und "Massage"-Salons geschossen. Der Bildband dazu trägt den gleichen Titel wie die mehr oder weniger bekannte Sexpraktik Lucky Hole.  Ja, ich gebe zu, ich habe mir das Buch jetzt gekauft - aus rein künstlerischem Interesse, versteht sich.

Arakis Inszenierung gefesselter Frauenakte hat zu erheblichen Irritationen bei Besuchern und Kunstkritikern geführt. Der Vorwurf, Araki zeige Pornografie im edlen Gewand zeitgenössischer Fotokunst und zeige mit seinen gefesselten Akten eine klare sadomasochistische Note, verkennt, dass erotische Sujets wie auch die  Fesselung eines Frauenkörpers in Japan eine besondere Tradition haben. Wer es genauer wissen möchte, dem sei der Artikel von Marc Peschke in der photoscala vom 22.6.2008 empfohlen.

 

Grenzfall Parthenophilie?

Im Gegensatz zur Pädophilie bezeichnet der Begriff Parthenophilie eine Sexualpräferenz, die sich auf Kinder und Jugendlichen bezieht, die sich  bereits mindestens in der ersten Phase ihrer körperlichen Sexualentwicklung (beginnende Schambehaarung) befinden. Jock Sturges (geb. 1947) hat an den FKK-Stränden Frankreichs durchaus auch jüngere Kinder abgelichtet. Ein nicht unwesentliches Merkmal ist, dass er all seine Bilder mit den Namen der Kinder benannt und damit personalisiert hat. Anders als David Hamilton sieht Sturges seine Bilder nicht als sinnlich, erotisch oder gar pornografisch. Es gibt keine Posen, die Bilder sollen in erster Linie Schönheit, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit zeigen. So ähnlich allerdings argumentierte auch der Maler Balthasar Kłossowski de Rola, genannt Balthus (Gitarrenstunde), dessen lange Serie von Polaroids eines heranwachsenden Mädchens im Folkwang Museum nicht ausgestellt werden durften.

 

Hamilton dagegen inszeniert seine Bilder. Seine zumeist weichgezeichneten Fotos pubertierender Mädchen brachten ihm Vorwürfe von "Softpornos" bis hin zur "Pädophilie" ein. Das erste Bild könnte noch unter die Rubriken Sachlichkeit und Schönheit fallen, aber beim zweiten stellt sich die Frage, ob dabei die Ästhetik oder Erregung im Vordergrund steht. Ich selbst habe mit dem letzten Bild weniger Probleme bezüglich des Motivs als mit der dem Tagebuch von Anne Frank entnommenen Bildunterschrift, die in einen völlig anderen Kontext gehört. Man sollte es ihm um die Ohren hauen. Geht nicht mehr. Er ist im November 2016 gestorben. Einige seiner früheren Models warfen ihm nach seinem Tod sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung vor. Hamilton hatte das stets vehement bestritten.

 

Mythos Vagina?

Dieser Frage geht Howard Halle in seiner Dia-Schau A brief history of the vagina in art nach.


            Das Video zeigt noch das Cover der Printausgabe